Pastorat - Ausgabe Nr.03
19 Pastorat 03.2014 FREUDE UND UNTERHALTUNG nem Korb verpackt, brachte Fräulein Agathe das Tier nach Hause. Und sofort begannen Agathe und ihre Schwester Emma das Tier zu füttern und zu pflegen. Und so kam der Morgen des 23. Dezember heran. Es war ein strahlender Wintertag. Die ahnungslose Gans stolzierte vergnügt von der Küche in das Schlafzimmer der beiden Schwes- tern und begrüßte sie zährtlich schnatternd. Die beiden Damen vermieden es, sich anzuse- hen. Nicht, weil sie böse aufeinander waren, son- dern nur, weil eben keine von ihnen die Gans schlachten wollte. „Du musst es tun”, sagte Agathe, sprach´s, stieg aus dem Bett, zog sich rasend rasch an, nahm die Einkaufstasche, überhörte den stürmischen Protest und verließ in geradezu hässlicher Eile die Wohnung. Als Agathe nach geraumer Zeit wiederkehr- te, lag die Gans auf dem Küchentisch,ihr langer Hals hing wehmütig pendelnd herunter. Blut war keines zu sehen, aber dafür alsbald zwei alte Damen, die sich heulend umschlungen hielten. „Wie... wie...”, schluchzte Agathe, „hast du es gemacht?“ „Mit... mit... Veronal”,wimmerte Emma. „Ich habe ihr einige deiner Schlaftabletten auf einmal gegeben, jetzt ist sie...”, so ging das Wei- nen und Schluchzen fort. Endlich raffte sich Agathe auf und begann, den noch warmen Vo- gel zu rupfen. Federchen um Federchen schweb- te in einen Papiersack, den die unentwegt wei- nende Emma hielt. Und dann beschloss man, nachdemes mittlerweile spät amAbend geworden war, das Ausnehmen der Gans auf den nächsten Tag zu verschieben. Am zeitigen Morgen wur- den Agathe und Emma geweckt. Mit einem Ruck setzten sich die beiden Damen gleichzei- tig im Bett auf und stierten mit aufgerissenen Augen und Mündern auf die offene Küchentür. Herein spazierte, zährtlich schnatternd wie früher, wenn auch zitternd und frierend, die gerupfte Gans. Bitte, es ist wirklich wahr und kommt noch besser. Als ich am Weihnachtsabend zu den bei- den Damen kam, um ihnen noch rasch zwei kleine Päckchen zu bringen, kam mir ein ver- gnügt schnatterndes Tier entgegen, das ich nur wegen des Kopfes als Gans ansprechen konnte, den das ganze Vieh steckte in einem liebevoll gestrickten Pullover, den die beiden Damen hastig für ihren Liebling gefertigt hatten. Die- Pullovergans lebte noch weitere sieben Jahre und starb dann eines natürlichen Todes.
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